Hi. Ich bin Marie. Ich führe eigentlich ein ziemlich normales Leben. Abgesehen davon, dass Karl Marx mit mir spricht. Marie, das Reich der Freiheit beginnt da, wo Arbeit aufhört. Versteht ihr, was ich meine? Schräger Typ, aber seine Ideen sind erstaunlich aktuell. Z.B. wenn es um Arbeit geht. Untertitel: WDR mediagroup GmbH im Auftrag des WDR Ich kapier ja nicht, wie man den ganzen Tag nur Katzenfotos und Zitate liken kann. Aber der Spruch ist ganz gut: "Das schöne Ganze menschlicher Natur wird durch jede Arbeit anhaltend zerstört." Friedrich Schiller. Also, was Arbeit angeht, kann ich dem guten Schiller nur recht geben. Irgendwie sympathisch, der Typ. (Marx) Du wirst es nicht glauben, aber auch ich war nie ein Anhänger der Arbeit. Dieser Kult, der darum gemacht wird, geht mir gegen den Strich. Moment mal, Marx. Warst du nicht derjenige, der ein Loblied auf die Arbeiter und das Proletariat gesungen hat? Ich hab nur sein elendes Leben im System Kapitalismus beschrieben. Meine Vision von Arbeit ist eine ganz andere: morgens jagen, nachmittags fischen, am Abend noch ein paar Theaterstücke kritisieren. Wie ich gerade Lust habe. Ich will freies und selbstbestimmtes Arbeiten. Das kommt dir als Millennial doch sicher bekannt vor. Aber leider steht ja auf der einen Seite der Kapitalist und auf der anderen der ausgebeutete Lohnarbeiter. Irgendwie klingt das ein bisschen klischeehaft und hat auch wenig mit meinem Arbeitsalltag zu tun. Schon mal was von Work-Life-Balance gehört, Marx? Ich kann mir meine Arbeitszeit selbst aufteilen. Ja, um an dir selbst zu arbeiten. Schau dich doch an. Selbstoptimierung ist Selbstausbeutung. Du stellst dein ganzes Leben unter das Diktat von Leistung und Arbeit. Purer Stress. Hey, lass mich doch. Ich fühl mich eben gut dabei. Außerdem gibt es auch so etwas wie positiven Stress, den ich mir selbst ausgesucht hab. (spricht mit der Stimme von Marx) Ich glaube eher, dass du dazu getrieben wirst. Ich habe das einmal Entfremdung genannt. Das ist fast schizophren. Sich selbst fremd werden in dem, was man tut, und es nicht mal zu merken. So war das schon bei den klassischen Fabrikarbeitern. Sie funktionierten am Fließband wie kleine Zahnräder im System. Eine reine Arbeitskraft, die an den Kapitalisten verkauft wird. Zum Endprodukt haben sie keine Verbindung mehr. Sie haben sich von ihrer Arbeit entfremdet. Mensch Marx, du immer mit deinen staubigen Fabrikhallen. Der Arbeitsmarkt ist heute anders. Da geht es um Flexibilität, Mobilität, darum, in Marktlücken zu stoßen. Ach, all dieses Gerede von den Segnungen des neuen Arbeitsmarktes. Gerade da wird heftig an der Schraube der Entfremdung gedreht. Klingt doch schön, wenn von der Ich-AG gesprochen wird oder von Start-ups und dem Silicon Valley. Du glaubst, du seist frei und kreativ, aber im Grunde folgst du nur den Gesetzen des Marktes. Das zehrt an deinen Nerven und an deinem Selbstwertgefühl. Ob du als Paktzusteller oder Programmierer arbeitest, ist egal. Letztlich tust du alles im Dienste des Kapitals. Entschuldigung, aber jetzt übertreibst du ein bisschen, wenn du all diese Berufe als Handlanger- dienste des Kapitals darstellst. * Telefonklingeln * Ja, du hast recht. Ich will nur sagen, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Entfremdung kommt heute einfach in einem anderen Gewand daher als noch zu meiner Zeit. Uns was hast du zur Zukunft der Arbeit zu sagen? Ich meine, wenn mein Auto mich schon nicht mehr zum Einparken braucht, wie sieht dann die automatisierte Zukunft der Arbeit aus? Zwiespältig, muss ich sagen. Ich sehe menschenleere Fabrikhallen und vollautomatisierte Anlagen. Das verspricht das Ende der Knochenarbeit, das ich mir gewünscht habe. Aber ich sehe auch Länder, in denen die Ausbeutung weitergeht. Hm, aber ich sehe auch viele Chancen in der Digitalisierung. Oder etwa nicht? Als alter Skeptiker fürchte ich, dass auch hier der lange Arm des Kapitalismus ins Spiel kommt. Kontrolle über deine Daten und über deine Kommunikation. Und Kontrolle über deine Zeit, Marie. Dem kannst du dich kaum entziehen. * Handyklingeln * Aber anderseits gilt: Wer sich nicht wehrt, hat schon verloren. Ich hab jetzt Feierabend. Copyright WDR 2018