27.02.1933. Die Nachricht verbreitet sich rasend schnell. Der Reichstag, der Sitz des deutschen Parlaments, steht in Flammen. Dass dieses Gebäude brennt, hat eine starke Symbolkraft. Wenn man sagt, wo regiert das Volk? Dann im Reichstag. Alle ahnen es. Dieser Brand wird Folgen haben. Viele fürchten, jetzt kommen schlimme Zeiten. Untertitel: WDR mediagroup digital GmbH im Auftrag des WDR Wie immer haben sich Berliner Nachtschwärmer am Abend des 27.02. in den Ballhäusern, Bars und Theatern versammelt. Wie immer suchen sie Zerstreuung im Rausch von Musik, Vergnügen und Freizügigkeit. Bis vor Kurzem ist Adolf Hitler in den Varietes und Kabaretts noch verlacht worden. Seit 4 Wochen aber ist er Reichskanzler. Und als solcher kein Witz mehr. Die braunen Propagandisten schüren Ängste. Jederzeit sei mit einem kommunistischen Aufstand, mit einem Aufstand von links, zu rechnen. Nun brennt der Reichstag. Die Folgen waren dramatisch, weil das das Fanal war, um gegen die Linke loszuschlagen. Das ist bekannt, es kam gleich in der Nacht zu Verhaftungen. Schon 1 h später ist Hitler am Ort des Geschehens. Er ist aufgebracht. Hitler mobilisiert in sich selbst die schrecklichsten Bürgerkriegsgefühle. Er sieht sich plötzlich in der Rolle, der gleichsam mit der Pistole durch die Gegend marschiert. Hitler ist wild entschlossen. Wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Die Nationalsozialisten verdächtigen sofort die Kommunisten, den Reichstag angezündet zu haben. Am Tatort wird ein junger Mann verhaftet. Der niederländische Rätekommunist Marinus van der Lubbe. War van der Lubbe der Brandstifter? Allein? Mit anderen? Oder haben gar die Nazis selbst das ihnen verhasste Symbol der Demokratie angezündet? Bis heute ist nicht wirklich geklärt, wer den Brand wirklich gelegt hat. Bis auf Weiteres, und ich fürchte, wir werden nicht mehr weiterkommen, ist die These der Alleintäterschaft des Marinus van der Lubbe doch die plausibelste. Wir haben keine Beweise dafür, nur weil es den Nationalsozialisten genutzt hat, die Nationalsozialisten für diesen Reichstagsbrand auch verantwortlich zu machen sind. Der Brand liefert einen guten Vorwand zum Zuschlagen. Am nächsten Tag lässt Hitler sich von Reichspräsident Hindenburg eine folgenreiche Notverordnung abzeichnen. Die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Briefgeheimnis gelten nicht mehr. Ab jetzt herrscht der Ausnahmezustand. Ein entscheidender Schritt auf Deutschlands Weg in die Diktatur. Die Reichstangsbrandverordnung ist die Gründungsurkunde, wenn Sie so wollen, des Dritten Reiches. Hier werden mit einem Schlag sämtliche verfassungsmäßige Grundrechte außer Kraft gesetzt. Die Aktionen der NS-Regierung hatten ein atemberaubendes Tempo. Jetzt ist die Opposition vogelfrei. In den nächsten Monaten werden Zehntausende Menschen ohne Haftbefehl festgenommen. Sie verschwinden einfach. Das waren Nachrichten, die verbreiteten sich. Das wurde bekannt, und das hat auch Angst und Schrecken verbreitet. D.h. wir haben eine andere durch Gewalt und Verordnung bestimmte Öffentlichkeit. Von da an beginnt das schon. Auch das Dunkel. Rücksprung. 01.01.1933. Ein Feuerwerk begrüßt das neue Jahr. Adolf Hitlers Chancen stehen schlecht. Seine NSDAP ist pleite und hat Millionen Wähler verloren. Es sieht nicht so aus, als würde es je das Dritte Reich geben. Die meisten politischen Kommentatoren schreiben in ihren Neujahrsbotschaften, dass die Zeit des Führers wohl jetzt vorbei sei. Er hätte abgewirtschaftet. Das erweist sich nun als eine der ganz großen Fehleinschätzungen. Dann scheitert in Berlin die 4. Regierung in 3 Jahren. Reichskanzler Kurt von Schleicher muss zurücktreten. Der Chefsessel in der Reichskanzlei ist wieder einmal frei. Es gibt dieses Zitat aus dem Tagebuch von Klaus Mann: "Hitler Reichskanzler, Schreck. Es nicht für möglich gehalten!" Das galt für viele, weil sie nicht mehr glaubten, dass dieser Mann aus dem Off zum Reichskanzler werden wird. Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte sich bisher kategorisch geweigert, Hitler zum Reichskanzler zu machen. Nun schwenkt er um und ernennt ihn. Es ist der Beginn einer neuen Zeit. Es ist Adolf Hitlers 1. Tag als Reichskanzler. Die Nationalkonservativen, die Hindenburg überredet haben, sich auf Hitler einzulassen, wollen ihn benutzen, um ihre Macht zu sichern. Im Kabinett Hitler sitzen 3 Minister der NSDAP und 7 Konservative. So richtig regieren lassen wollen sie Hitler eigentlich nicht. So haben sie es Reichspräsident Hindenburg verkauft, wenn man so will. Ja, Hitler ist Reichskanzler, aber wir haben ihn schon eingerahmt. Der wird nur das tun können, was wir wollen. Hitler, einmal an der Macht, bändigen zu können, eine folgenreiche Illusion. Nun geht es Schlag auf Schlag. In den ersten 100 Tagen als Reichskanzler wird Hitler die Weichen stellen, um aus Deutschland sein Tausendjähriges Reich zu machen. Die ersten 100 Tage sind geprägt v.a. durch die Schnelligkeit, in dem diese Entwicklung hin zu einem Führerstaat sich vollzieht. 01.02.1933. Hitler ist gerade 3 Tage im Amt, da drängt er Hindenburg, den Reichstag aufzulösen. Hitler will Neuwahlen, die absolute Mehrheit im Parlament. Die alleinige Herrschaft. 04.02. Am 6. Tag wird eine Verordnung erlassen, die den politischen Gegnern, den Kommunisten und Sozialdemokraten, den Wahlkampf fast unmöglich macht. Ihre Zeitungen und Versammlungen können nach Belieben verboten werden. Am 12. Tag seiner Herrschaft beginnt Hitler seinen Kampf um die Wählerstimmen. Tausende strömen in den Berliner Sportpalast. Viele Anhänger, aber auch viele Neugierige, die den Reichskanzler sehen und hören wollen. Er rechnet ab mit der Weimarer Republik, verkündet seine Weltanschauung, attackiert die Kommunisten. Damals gelobt ich mir zum 1. Mal als unbekannter Eiserner, diesen Krieg zu beginnen. Und nicht zu ruhen, bis endlich diese Erscheinung aus dem deutschen Leben beseitigt sein würde. * Applaus * Die Erwartungen an ihn sind hoch. Hitler sollte diese Staats-, Gesellschafts- und Wirtschaftskrise überwinden. Er sollte im politischen Bereich eine Rolle des Retters einnehmen. Das hat teilweise fast religiöse Züge, diese Erwartung. Als Redner erfüllt Hitler die Erwartungen. Die Formulierungen sind ausgefeilt, Gesten einstudiert. Führerpose. Der neue starke Mann verspricht eine bessere Zukunft, beschwört die Auferstehung der Nation. In uns selbst allein liegt die Zukunft des deutschen Volkes. Er steigert sich bewusst und ganz konzentriert und gezielt und nicht aus Überschwang. Er steigert sich, bis er mit überschlagener Stimme endet mit dem Glaubensbekenntnis. ...Der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen. Das ist christliche Rhetorik. Er ist der Erlöser, er ist der Retter. Das Ziel aller Auftritte: Er will die Deutschen werben für sein Drittes Reich. Auch der Rundfunk überträgt den Wahlkampfauftakt. Millionen Menschen im ganzen Land können Hitler hören. Den politischen Gegnern fällt der Wahlkampf schwer. Zum Rundfunk haben sie keinen Zugang und jederzeit können ihre Zeitungen verboten werden. Das war ein Verlust von Liberalität und eine Einschränkung von Öffentlichkeit. In der jeder und jede Staatsbürgerin ihre Meinung sagen kann. Die zu einer Demokratie und zu einem Rechtsstaat dazugehört. Diese Einschränkung hat da begonnen. Der 19. Tag. Auf Befehl von Hermann Göring tritt in Preußen der Schießerlass für Polizisten in Kraft. Der Waffengebrauch gegen Staatsfeinde ist jetzt straffrei. Der neue preußische Innenminister entlässt unbequeme Staatsdiener und setzt führertreue Beamte ein. Ich werde mit eisernem Besen auskehren. Und alle diejenigen, die ausschließlich wegen ihrer roten oder schwarzen Gesinnung und zur Unterdrückung aller nationalen Bestrebungen im Amt und Würden sitzen, hinausfegen. 22.02. 24. Tag. Zehntausende SA- und SS-Männer werden zu Hilfspolizisten. Seit Jahren sind sie uniformiert, ans Marschieren gewöhnt, im Straßenkampf erprobt. Da drin waren Leute versammelt, die nach Aktionen, nach Durchsetzung, nach Gewalt geradezu dürsteten. Die wurden freigelassen wie die Kettenhunde. Die brutalen Schlägertrupps der SA. An der Seite der Polizei werden sie Teil der Staatsgewalt. Da sieht man, wie sich das dreht. Dass die ehemaligen politischen Gegner nicht mehr auf gleicher Augenhöhe sich begegnen können. Sondern die Nationalsozialisten können ihre Gewalt und ihre Macht im staatlichen Auftrag ausüben. Am 27.02. brennt dann der Reichstag. In den Tagen danach: Großeinsatz für die alten und die neuen Ordnungshüter. Für Polizei und Hilfspolizei. Eine beispiellose Verhaftungswelle überrollt das Land. Hitler will aber seine Macht nach dem Reichstagsbrand nicht allein auf Gewalt gründen. Sondern auch die Herzen der Deutschen erobern. Wahlkampftour in Hamburg, in Köln, in München. Hitler auf der Straße, auf dem Wasser, in der Luft. Die letzte Station, Königsberg. Hitler fordert, die Wahl muss ein nationales Bekenntnis werden. Ich habe einst den Mut aufgebracht die geschichtlich schwerste Aufgabe zu übernehmen, die einem Sterblichen in einem Volk gestellt werden kann. Und erwarte von dir, deutsches Volk, dass du dich nun aufraffst, und dass du nun hinter mich trittst. Nicht, weil du mich stützen sollst, sondern weil du mich stark machen musst. Für dich selbst als dein Befreier. Am 35. Tag seiner Kanzlerschaft findet die Wahl zum Reichstag statt. Hitler erreicht das bisher beste Ergebnis. 43,9% für die NSDAP. Über 17 Mio. Deutsche sagen Ja zu Hitler und der neuen Zeit. Das Ergebnis wird als großer Sieg verkauft. Doch sein Wahlziel, die absolute Mehrheit, hat Hitler klar verfehlt. Kommunisten und Sozialdemokraten erhalten gegen alle Erwartungen fast 1/3 der Stimmen. Das hat Hitler einen klaren Hinweis gegeben, dass es noch keine nationalsozialistische Mehrheit in der Bevölkerung gibt. D.h. diese Art Machteroberung muss schnell, rasch und durchdringend sein. Um die mögliche Opposition unter Kontrolle zu halten. Die NSDAP regiert weiter mit den Nationalkonservativen im Reichstag. Aber sie hat noch nicht die Macht in allen Ländern, Städten und Gemeinden. Jetzt wird gleichgeschaltet. Überall werden aufgrund der Reichstagsbrandverordnung nationalsozialistische Landesregierungen eingesetzt. Wenn nötig, wird mit Gewalt nachgeholfen. Linke Politiker werden gepeinigt, wie hier in Chemnitz. Bürgermeister aus ihren Rathäusern vertrieben und verhaftet, wie hier in Braunschweig. Ein Beutezug der NSDAP, bei dem sie innerhalb einer Woche alle deutschen Länder, Stadt um Stadt ihrer Herrschaft unterwirft. Ein politisches Erdbeben. Am 05.03. hat das deutsche Volk mit einer überwältigenden Mehrheit der nationalen Revolution seinen Segen erteilt. Von da ab beginnt nun der legale Umformungsprozess des deutschen Volkes in allen Gebiete und in allen Einzelteilen. Joseph Goebbels wird Chef des neu gegründeten Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Ein Ministerium allein für die Beherrschung der Gedanken, für die geistige Mobilmachung. 51. Tag, Frühlingsanfang. Auf den Straßen von Potsdam, Menschenmassen. Eigentlich tritt nur der neugewählte Reichstag erstmalig zusammen. Doch Goebbels macht daraus den Tag von Potsdam. Mit alter Herrlichkeit und neuem Geist. Hitler wird in das deutsche Pantheon aufgenommen, steht nun in einer Reihe mit Friedrich dem Großen, Otto von Bismarck und Paul von Hindenburg. Hitler will, dass diese Zeit in jedem Deutschen weiterwirkt. Nationaler Unterricht. Das kommt bei vielen Leuten sehr gut an. Das hat die Menschen motiviert und mobilisiert. In Potsdam wird Hitler, der ehemalige Krawallpolitiker, zum Staatsmann geadelt. Niemand hat ihn und seinen Feldzug gegen die Demokratie bisher gestoppt. Es gab keinen Generalstreik, keinen Putsch des Militärs. Reichspräsident Hindenburg hätte Hitler wieder absetzen können. Aber er reicht ihm die Hand. Eine Geste der Anerkennung. Ein Ritterschlag. Dieser Handschlag, dieses berühmte Foto... ...Der sich demutsvoll verneigende Hitler, der die Hand gibt, der sich gönnerhaft, wohlwollende, herabneigende Hindenburg. Diese grandiose Inszenierung, die wird reichsweit gestreut. Es ist der Frühling der Hakenkreuzfahnen. Wir wissen nicht, was die Menschen gedacht haben, die aus ihrem Balkon die Hakenkreuzfahnen haben runterhängen lassen. Aber damit hat die Straße ein ganz anderes Gesicht, wenn sie zu bestimmten Ereignissen vollständig geflaggt ist. Das ist ein Gefühl von Veränderung des öffentlichen Raums. Nicht nur mit Fahnen bekennen sich immer mehr Deutsche zum Nationalsozialismus. Über 1,5 Mio. Menschen treten in den ersten 100 Tagen in die NSDAP ein. Mitgliedschaft dort bedeutete Privilegierung. Mitgliedschaft konnte auf Pfründe hoffen lassen. Mitgliedschaft war für Arbeitslose eine bessere Chance, an einen Job zu kommen, als kein Mitglied zu sein. Und so weiter und so fort. Viele Kämpfer der Partei fürchten um ihre Stellung. Bald wird es eine Aufnahmesperre für die NSDAP geben. Millionen Anhänger, Millionen Mitläufer. Der nationale Aufbruch hat in wenigen Wochen ganz Deutschland erfasst. Neben all den Uniformen, dem Gleichschritt und den Hakenkreuzflaggen finden sich noch Bilder vom scheinbar normalen Alltag. Die Menschen haben gelebt. Wir haben gearbeitet, geheiratet, gestorben. Es gab immer auch den Alltag, und drum herum passierte sehr schnell sehr viel. Aber die Tragweite dessen, was passierte, konnte einem kaum bewusst sein. Normalität zwischen Propaganda und Terror. Es war ja gleichzeitig. Man wurde propagandamäßig beschallt, gleichzeitig ahnte man die Gewalttätigkeit. Man wusste von Folterkellern. Es wurde geraunt, und Gerüchte verbreiteten sich. In dieser Umbruchszeit und Mobilisierungszeit gibt es so etwas wie: Lass die mal, die kommen wieder zu Vernunft, und vielleicht ist in so einer zugespitzten Situation schon richtig, dass es jemanden gibt, der zupackt und durchgreift. Ab März 1933 werden die ersten offiziellen Schutzhaft- und Konzentrationslager eingerichtet. Wie Osthofen in Rheinhessen, Heuberg auf der Schwäbischen Alb, Dachau bei München oder Oranienburg bei Berlin. Die Lager werden nicht verschwiegen. Im Gegenteil, Presse, Funk und Film berichten. Wir wollen nun versuchen, Ihnen und der Welt die Wahrheit, ein Spiegelbild des Lebens, aller Vorgänge im Konzentrationslager Oranienburg, der in Schutzhaft genommenen, verirrten, verhetzten und schuldig gewordenen Volksgenossen zu Gehör zu bringen. Offiziell geht es um Umerziehung. Zucht und Ordnung sollen aus politischen Gegnern, aus Staatsfeinden, ordentliche Volksgenossen machen. Die Bilder wirken fast harmlos, aber es spricht sich herum, was in den Lagern wirklich geschieht. Da geht es um Vernichtung des Gegners. Der wird gedemütigt, misshandelt, gefoltert, ermordet. Es geht nicht darum, dass man einer anderen politischen Kraft sagt, wir haben jetzt mehr Wählerstimmen und setzen eine Politik um. Nein, da geht es um Vernichtung des politischen Gegners. Der 53. Tag. Der Reichstag kommt in der Berliner Krolloper zusammen. SA und SS sind auch vor Ort. Auf der Tagesordnung: das Ermächtigungsgesetz. Die KPD ist ausgeschlossen, zerschlagen. Auch viele Sozialdemokraten fehlen, sind untergetaucht oder sitzen im KZ. Manche der Sozialdemokraten waren sich nicht sicher, ob sie da rauskommen, oder ob nicht nach der Abstimmung sie verhaftet und interniert werden. Stimmen die Abgeordneten dem Ermächtigungsgesetz zu, dann kann die Reichsregierung Gesetze beschließen. Ohne Abstimmung im Parlament. Dann wäre Hitler de facto Alleinherrscher. Als Einziger widersetzt sich der SPD-Vorsitzende Otto Wels. Im Namen seiner Partei. Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Nach den Verfolgungen, die die sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird niemand von ihr billigerweise verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. Es ist die letzte freie Rede im deutschen Reichstag. Das letzte Aufbäumen einer traditionsreichen Partei. Otto Wels wird emigrieren wie viele. Das Ermächtigungsgesetz wird mit den Stimmen aller anderen Parteien angenommen. Das Parlament hat sich selbst entmachtet. Die Nazis triumphieren. Der 62. Tag. Heute Morgen um 10 Uhr hat der Boykott begonnen. Er vollzieht sich mit einer schlagartigen Wucht. Aber auch mit einer imponierenden Manneszucht. Alle Deutschen sind aufgerufen, die jüdischen Geschäfte zu boykottieren. Reichsweit postiert sich die SA. Deutsche, macht euch frei von der Judentyrannei. Deutsche, wehrt euch. Kauft nicht bei Juden. Dieser Tag ist für die jüdische Bevölkerung, wenn man sich die Erinnerung anguckt, ist es der Tag, der Beginn des NS-Regimes. Wenn man Überlebende gefragt hat, nach '33, fängt es am 01.04. an. Das war der Tag, an dem die Juden als Gruppe angegriffen wurden. Öffentlich. Das wurde genau so empfunden. Die deutschen Juden werden ausgegrenzt. Sie sollen nicht mehr Teil des Volkes sein. Aufnahmen im Auftrag der NSDAP aus Halle an der Saale. Der 01.04.1933 war ein Fehlschlag. Weil die Leute sich nicht dran gehalten haben und das als vollkommen übertrieben, dreist und überflüssig empfunden haben. Ein 1. Schritt in Richtung Rassenwahn aber ist gemacht. Manche gehen einfach vorbei, versuchen wegzugucken, sich davon zu distanzieren. Aber sie lassen es zu. Eine Woche später der nächste Schritt. Die Ausgrenzung per Gesetz. Beamte, die ihre arische Abstammung nicht nachweisen können, werden entlassen. Der 1. Arierparagraf. Hitlers neuer Staat sucht sich seine Angestellten und Bürger selbst aus. Wir wollen diese "Volksgemeinschaft" so bauen, dass unsere Feinde genau wissen, dass für sie kein Platz mehr ist. 92. Tag. Der Kampftag der Arbeiter, der 1. Mai, wird zum Feiertag. Zum Tag der nationalen Arbeit. Hitler will die Arbeiter für sich gewinnen. Die Losung heißt, ehre die Arbeit und ehre den Arbeiter. Also in einem Deutschland, in dem noch Adlige, Großunternehmer viel zu sagen haben, treten die Nationalsozialisten an. Und sagen, der Arbeiter muss geehrt werden. Der neue Feiertag ist ein Bestechungsversuch. Und millionenfach erhebt sich die bis dahin geballte Faust der Arbeiter zum Hitlergruß. Wie hier auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Der Tag der nationalen Arbeit wird reichsweit gefeiert. In allen Städten, Dörfern die gleiche Zeremonie. Bilder aus Oschatz, Sachsen. 9 Uhr, Versammeln zur Rundfunkübertragung. 10 Uhr, Festumzug. 14 Uhr, große Kundgebung auf dem Marktplatz. Auf den Gedanken zu kommen, diesen Tag aufzugreifen und ihn zu einem offiziellen Feiertag zu machen, das ist ein politischer Coup. Der ist keiner anderen Regierung vorher eingefallen. Der 1. Mai bringt viele Sympathien für die neue Lichtgestalt. Schon am nächsten Tag werden die Häuser der Gewerkschaften durch Rollkommandos der SA besetzt, die freien Gewerkschaften zerschlagen. 100 Tage sind vorüber, seit Adolf Hitler zum Regierungschef ernannt wurde. Viele Intellektuelle und Schriftsteller haben das Land bereits verlassen. Nun landen ihre Bücher im Feuer. Ich übergebe dem Feuer alles Undeutsche. Gegen Klassenkampf und Materialismus. Kurt Tucholsky, Berthold Brecht, Alfred Döblin, Thomas Mann. Die Nazis nehmen Deutschland die Gedankenfreiheit und seine besten Dichter. Das könnte symbolischer nicht sein. Das ist der Zeitpunkt, wo die politische Kultur grundlegend verändert war. Deutschland ist ein anderes Land geworden. In nur 100 Tagen. Am 30.01. sind in Deutschland die Würfel gefallen. Und ich glaube nicht, dass die Gegner, die damals noch gelacht haben, heute auch noch lachen. * Musik * Copyright WDR 2015